Wie alles begann

Liebefeld oder “es ist kompliziert” – 6 Jahre harte Beziehungsarbeit

Es ist doch schon verrückt,

wie sich die Dinge manchmal entwickeln. Ich stehe auf der Sparrenburg, einem der höchsten Punkte und gleichzeitig dem Wahrzeichen Bielefelds. Meine Arme liegen entspannt auf dem festen, von der Tagessonne angenehm gewärmten Stein der Burgmauer, mein Blick hängt auf dem Teutoburger Wald gegenüber. Die letzten Sonnenstrahlen sorgen für Licht und Schatten auf den dichten runden Baumkronen, die dadurch noch voluminöser wirken und tauchen die Stadt in diesen goldenen Sepia Filter vergangener Sommertage. Die Schattierungen der einzelnen Waldbereiche lassen den Berg-Wald wie eine weiche Moosschicht wirken, die leichten Nebelschwaden zwischen den höheren Lagen haben fast etwas mystisch-romantisches. So als wollte die Stadt sagen: “Guck mal, wie schön ich eigentlich bin!”  Weiter unten, Richtung Stadt, tront auf dem Hauptgebäude von Dr. Oetker dessen Logo in überdimensionaler Größe und dreht sich langsam in der Abendsonne. Abwechselnd lässt sich Bielefelds Aushängeschild jede Seite genüsslich anstrahlen. Der Verkehr rauscht leise, irgendwie beruhigend. Von hier oben sieht alles geordneter aus, als es unten wirklich ist. Den Stress Stadt unter meinen Füßen, kann ich hier oben immer schnell loslassen. Unüblich für mich, denn normalerweise gehöre ich zu der hibbeligeren Sorte.

Ich atme ein. Und wieder aus. Tja, mein Liebefeld, da lässt sich auch mit dem atemberaubendsten Sonnenuntergang nichts schönreden, unsere Beziehungsgeschichte, das ist schon ein Kapitel für sich.

Alles fing eigentlich ganz harmlos mit dem Studium an. Am nächsten an meiner Heimatstadt liegend war Bielefeld als Studienort einfach die finanziell angenehmste (und machbarste) Variante. Schon damals war meine Beziehung zu der Stadt eher pragmatisch – besonders gereizt hat mich weder der Uni Campus noch die Stadt an sich.

Mein Weg führte mich schließlich weg, zunächst zum Studieren nach Frankreich und danach ins merkbar größere Berlin. Tatsächlich kam ich anschließend wieder nach Bielefeld zurück, der Arbeit wegen. Kurzer Dorfkoller ja, allerdings durchlebte ich tolle, verrückte Zeiten in noch tolleren WG’s und fand schließlich eine nette Wohnung ganz für mich in bester Lage – an der Sparrenburg. Ich ging raus, versuchte die Stadt kennenzulernen. Das Gefühl des sich nicht Wohlfühlens blieb. Ich fühlte mich eingeengt, Floskeln wie “ach so schlimm ist es doch gar nicht, außerdem hat Bielefeld doch tolle Ecken” und “Berlin ist doch viel zu groß”, nervten mich. Schließlich suchte ich ja mich in meiner Kritik bestätigenden Worte und nicht noch mehr Liebefeld-Sprüche! Das man diese Unterstützung nicht unbedingt aus dem Mund der Einwohner einer Stadt hört die von den meisten sehr geschätzt wird, hätte mir klar sein müssen. Diese eigentlich wünschenswerte Zufriedenheit mit Bielefeld aller anderen passte mir überhaupt nicht in den Kram, also schob ich allen Gegenwind in die Schublade der ostwestfälischen Engstirnigkeit und kämpfte weiterhin alleine an der Front der Bielefeld-Nicht-Möger.

Ich habe mich viel damit beschäftigt auf welche Art und Weise Menschen Städte wahrnehmen und welche Faktoren einen Einfluss auf diese Wahrnehmung haben. Mit dem Fazit – sicherlich keine neue Erkenntnis –  dass es sich wie mit fast allem im Leben verhält: Den ganz persönlichen Umständen, Interessen, Erwartungen und eben auch dem Vergleich. Und besonders letzterer brachte mich dazu, immer wieder in eine teils ungerechtfertigte Anti-Haltung zu verfallen.

Woher kam also dieses nicht verschwinden wollende, unzufriedene Gefühl?

  1. Generelle Verschlossenheit: Ich bin hier, weil hier meine Arbeit ist. Irgendwann in naher Zukunft wandere ich eh wieder nach Berlin aus. Bis dahin versuche ich es zu ertragen.
  2. Pessimismus: Ich hob alle negativen Seiten, Erfahrungen und Momente der Stadt hoch und wedelte triumphierend damit herum, während ich gleichzeitig alle guten Dinge schnell im Sand vergrub und vergaß. Schließlich brauchte ich Bestätigung meiner “Bielefeld ist scheiße”-These.
  3. Erwartungshaltung: Ich erwartete viel (evtl. zu viel) von einer “kleinen Großstadt”, mit 333.000 Einwohnern (2015, Platz 18 unter den deutschen Großstädten), einer Durchschnittstemperatur von 9,9°C und einer Größe von 258 km², von denen knapp 40% für Landwirtschaft und 20 % für Wald drauf gehen.
  4. Vergleich, Vergleich, Vergleich: Ich war die meiste Zeit damit beschäftigt, die Stadt unsinniger Weise mit Berlin zu vergleichen. A) Hatte ich keinen anderen Vergleich und B) Wollte ich wohl auch keinen. Macht ungefähr so viel Sinn wie Bier und Wein zu vergleichen.

“Dann geh doch!”,

kam mir mit Recht sehr häufig entgegen. Stimmt auch, was in aller Welt hielt mich eigentlich noch in Bielefeld?

Und bei der Antwort auf diese Frage übersah ich einen ganz wesentlichen Faktor, der Bielefeld für mich zu meiner absoluten Homebase und Heimatstadt werden ließ: Meine Crew! Die Menschen, die hier über Jahre zu Freunden wurden, mit denen ich mehr als regelmäßig auch die kleinsten kneipen und schlechtesten Parties abriss, die sich mit mir durch die furchtbarsten Zeiten kämpften und mit denen ich am Ende einer durchtanzten Nacht hochgradig zufrieden die schönsten Sonnenaufgänge genossen habe. Eben solche Verrückten, mit denen auch Bielefeld auszuhalten ist.

Diese Einsicht lässt natürlich die schlechten Parties und definitiv fehlenden guten Clubs nicht besser werden. Das macht die Einkaufsstraße am Samstagnachmittag nicht weniger unerträglich und mich in mitten darin nicht weniger aggressiv. Das alles ändert die Stadt an sich nicht und das macht Berlin (oder welche Großstadt auch immer) nicht weniger attraktiv. Allerdings sind diese Menschen der Grund dafür, dass ich die positiven Seiten jetzt sehen und genießen kann, anstatt mich über die negativen aufzuregen. Und die hat Bielefeld! Also die guten…:D

Und so atme ich ein. Und wieder aus. Löse meinen Blick von der Bielefelder “Skyline”, freue mich darüber, dass meine Wohnung so nah an der Burg und mitten in der Natur liegt und bin in Gedanken schon mit meinen Leuten beim Feierabendbier in meiner Lieblingsbar.

10-Steps-Survival Guide für Bielefeld-Neulinge

Du bist aus dir noch unerklärbaren Gründen in der angeblich nicht existierenden Großstadt gelandet und weißt nun nicht so recht, was zu tun ist? Hier ein kleiner Survival-Guide:

  1. Entspann’ dich und lass dich von den Blicken nicht abschrecken! Wir sind in Ostwestfalen.
  2. Der Hauptbahnhof ist generell nicht “the Place to be”. Geh’ in die Stadt und gönn’ dir ein Frühstück – das geht in Bielefeld sehr gut! Wie wär’s mit dem Mocca Klatsch? (Achtung, meist nur bis 13 Uhr).
  3. Behalte jegliche “Bielefeld gibts doch gar nicht” Sprüche einfach für dich, falls du Interesse an netten Gesprächen und neuen Freunden hast.
  4. Mach einen Spaziergang zur Sparrenburg, füttere ein paar Ziegen im Tierpark Olderdissen, schau dir eine Ausstellung in der Kunsthalle an oder eine Vorführung im Theater.
  5. Sommer? Der Ravensberger Park oder der Oetkerpark bieten beste Möglichkeiten für entspanntes Sonnenbaden. Wer höhere Lagen präferiert, der gönnt sich einen Cocktail in der auf der höchsten Ebene eines Parkhauses gelegenen “Santa Maria” Strandbar.
  6. Mach eine Führung bei Dr. Oetker.
  7. Für die Abendplanung startest du am besten mit einem “Mexikaner” (Schnaps, was sonst) im “Gegenüber”. Du bist alleine? Gar kein Problem, setz dich einfach an die Bar. Sollte es (oder jemand) dir zu viel werden, bediene dich einem Spruch aus Punkt 3 (oder lästere über Bielefeld).
  8. Du hast Freunde gefunden? Super! Lass dich auf eine WG Party am “Siggi” oder der Innenstadt einladen (alles andere könnte aufgrund fehlender Öffentlicher unnötig kompliziert werden).
  9. Zu späterer Stunde besuche das “Muttis” am Kesselbrink.
  10. Sobald du Bielefeld verlassen hast darfst du damit prahlen, dass es “Liebefeld” ja wohl doch gibt. Vergiss nicht, dir ein entsprechendes Souvenir mitzunehmen, falls der Kater vom ausgearteten Nachtleben nicht reicht. Liebefeld Jutebeutel sind gerade schwer im Kommen ;-).

 

Viel Spaß!

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2 thoughts on “Liebefeld oder “es ist kompliziert” – 6 Jahre harte Beziehungsarbeit”

  1. Hört sich nach einem sehr gelungenen Auftakt an! Schön geschrieben, liebe Tina. Stefan und ich waren auch gerade 14 Tage in Frankreich, in der Normandie und Bretagne mit Wohnmobil und Fahrrändern. Das war auch einfach ein Traum. Wir waren jeden Tag woanders und haben so viel Verschiedenes gesehen, sogar ein Abstecher nach Rennes zum Parc du Thabor und Place Saint-Anne war drin! Hach, war das schön! Auch wenn mir die herumlaufenden Studis ziemlich jung vorkamen (und ich mir plötzlich alt 🙁 ) Haben gerade ein Erstsemester-Ralley gesehen! 😀
    Ich wünsche dir nochmals viel Spaß auf deiner Reise und bin schon gespannt auf den nächsten Blog Eintrag. Kann man als Leser eigentlich einstellen, dass man eine Nachricht bekommt, sobald es hier etwas Neues gibt?
    Liebe Grüße,
    Pia

    1. Liebe Pia!! Vielen vielen Dank für deinen Kommentar – Frankreich ist einfach ein unglaubliches Land. Mit Fahrrad und Wohnmobil hört sich super an, man ist einfach nochmal eine ganze Spur flexibler und kann solange bleiben, wie man möchte. Und oh la la, sogar nach Rennes habt ihr es geschafft..da kommen Erinnerungen hoch 🙂 Glaub ich, dass die Studenten dort nun eine Ecke jünger sind. Freut mich auf jeden Fall dass ihr das so gut genießen konntet und eine tolle Zeit hattet. Und natürlich freut es mich, dass dir mein Blogeintrag gefällt! Ich werde dich updaten sobald ich etwas geschrieben habe. Liebe Grüße! Tina

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